Meldungen aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen
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Erster Volkstrauertag unter Beteiligung von Vertretern der jüdischen Gemeinde in den Niederlanden

Veränderungen an der Kriegsgräberstätte Ysselsteyn: Gestaltung und Gedenken

Friedensbotschaften der Schülerinnen und Schüler der Karl-Kisters-Realschule Kleve-Kellen am Volkstrauertag auf der Kriegsgräberstätte Ysselsteyn Astrid Wolters

Ysselsteyn (NL). Am 14. November 2021 fand auf der deutschen Kriegsgräberstätte in Ysselsteyn, Gemeinde Venray, in den Niederlanden, das jährliche Gedenken zum Volkstrauertag statt.  Auf Einladung des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge und des deutschen Botschafters Dr. Cyrill Nunn wurde an diesem Tag aller Opfer von Krieg und Gewalt gedacht. 

Zum ersten Mal fand der Volkstrauertag mit aktiver Beteiligung von Oberrabbiner Binyomin Jacobs statt. Auch der Präsident der niederländischen Kriegsgräberstiftung, Piet-Hein Donner, der Bürgermeister der Gemeinde Venray, Luc Winants, und der Generalvikar des Bistums Roermond, René Maessen, sprachen. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. war durch den Vorsitzenden des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen, Staatsminister a.D. Thomas Kutschaty, vertreten.

Auf dem Volkstrauertag sagte Oberrabbiner Jacobs: “Die Vergangenheit dürfen wir nicht vergeben und nicht vergessen. Für die Zukunft müssen wir für ein ‘Nie wieder!’ extrem hart zusammenarbeiten.“

Der Präsident der niederländischen Kriegsgräberstiftung (Oorlogsgravenstichting) Piet-Hein Donner sagte: “Wir gedenken hier heute zusammen: Deutsche, Niederländer, Vertreter anderer Länder. Besonders ist die Anwesenheit von Oberrabbiner Jacobs. Gemeinsam gedenken – allein auf diese Weise stellen wir eine gemeinschaftliche Zukunft, auch für unsere Kinder, sicher. Nicht dadurch, dass wir die Vergangenheit verdecken oder vergessen. Wir gedenken gerade deshalb, um nicht zu vergessen. Weil die Vergangenheit nicht vorbei und abgeschlossen ist, auch nicht durch das Vergessen oder Verschweigen. Dann bleibt uns nur noch eine unbewältigte Vergangenheit, der wir uns nicht zu stellen wagen. Wir gedenken, weil die Vergangenheit nicht vorbei ist und weil Vergessen keine Lösung ist.“

Der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in den Niederlanden, Dr. Cyrill Nunn, sagte: “Wir gedenken, damit wir unsere gewonnene Freiheit nicht für selbstverständlich nehmen. Wir gedenken gegen das Vergessen und erinnern an die wichtige Bedeutung von Zivilcourage und demokratischem Engagement in einer Zeit, wo wir erneut mit für uns alle vollkommen inakzeptablen, antisemitischen und rassistischen Taten bedrohlichen Ausmaßes konfrontiert sind.”

Der Vorsitzende des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen und Mitglied des Präsidiums des Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Thomas Kutschaty, sagte: „An einem Ort wie diesem dürfen wir nie die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus vergessen. Denn sie haben kein Grab, und die Angehörigen und Überlebenden haben keinen Ort der Trauer. Gleichzeitig sollten wir Orte wie Ysselsteyn als Chance betrachten – als Chance für eine gemeinsame europäische Zukunft, als Lernort für Empathie und gegenseitiges Verständnis, als Ausgangspunkt für Frieden in Recht und Freiheit.“

Der Bürgermeister der Gemeinde Venray, Luc Winants, sagte: „Es ist ein beeindruckender Ort. 32.000 Kreuze auf einem ausgedehnten Gelände, soweit das Auge reicht und weit darüber hinaus. Hier, an diesem Ort in Venray, rückt die Vergangenheit auf schmerzliche Weise in den Vordergrund und wird uns Folgendes bewusst: Nie wieder Krieg.“

Hintergrund zur Geschichte der Kriegsgräberstätte Ysselsteyn

Die Kriegsgräberstätte Ysselsteyn wurde im Jahr 1946 gemäß der Genfer Konvention auf Wunsch der amerikanischen Behörden und im Auftrag der niederländischen Regierung angelegt. In den darauffolgenden Jahren wurden in den Niederlanden umgekommene deutsche Soldaten, niederländische Kollaborateure sowie Freiwillige und Hilfsdienste der Wehrmacht anderer Nationalitäten zu Tausenden von Zivilfriedhöfen und aus Feldgräbern exhumiert und nach Ysselsteyn umgebettet. Die meisten dieser Kriegstoten sind Soldaten, die in Zusammenhang mit ihrem Kriegseinsatz ums Leben gekommen sind. Unter den Kriegstoten befinden sich nach aktuellem Forschungsstand auch Gräber von zweifelsfrei identifizierbaren Personen, die an Kriegsverbrechen und der systematischen Verfolgung und Ermordung von Juden, Sinti, Roma und anderen Bevölkerungsgruppen aktiv beteiligt waren und die Verfolgung und Ermordung von Widerstandskämpfern, Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen oder Zivilisten zu verantworten haben. Bis heute wurden 87 Kriegstote des Ersten Weltkriegs und fast 32.000 Kriegstote des Zweiten Weltkriegs in Ysselsteyn bestattet. Am 1. November 1976 wurde die Anlage der Bundesrepublik Deutschland übergeben. Seitdem befindet sie sich in der Trägerschaft des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.. Dieser veranstaltet seit 1972 eine Gedenkveranstaltung am deutschen Volkstrauertag vor Ort, die von der Deutschen Botschaft in den Niederlanden ausgerichtet wird und ein internationales Publikum anspricht. 

Was wird vor Ort gemacht: Bildungs-, Mahn-, und persönlicher Ort für Angehörige

In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg galt die Kriegsgräberstätte vor allem der persönlichen Trauer von Angehörigen. Mit zunehmendem zeitlichem Abstand zum Zweiten Weltkrieg rückt jedoch auch die historische Bedeutung des Ortes und der dort bestatteten Kriegstoten in den Vordergrund. Seit 1982 finden unter dem Motto „Versöhnung über den Gräbern“ internationale Jugendbegegnungen in Ysselsteyn statt. 1998 wurde auf dem Gelände eine Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte mit deutsch-niederländischem Profil errichtet, die ein vielfältiges pädagogisches Angebot für Schulklassen und Jugendgruppen bereithält. Seit den 2000er Jahren verzeichnet die Kriegsgräberstätte Ysselsteyn eine stetige Zunahme von Gästen. Um dieser Nachfrage gerecht zu werden initiierte die Förderstiftung „Vrienden van Ysselsteyn“ den Bau eines Besucherzentrums mit bedarfsgerechter Infrastruktur. Im Herbst 2021 wurde das Besucherzentrum fertiggestellt und hat seinen Betrieb aufgenommen. Die offizielle Eröffnung muss coronabedingt ins Frühjahr 2022 verschoben werden. Kern des Besucherzentrums ist eine moderne Ausstellung über den Angriff auf die Niederlande, die nachfolgende deutsche Besatzungszeit sowie die Kämpfe gegen die Alliierten von 1940 bis 1945.  
      
Modernisierung und Kontextualisierung der Kriegsgräberstätte

Im Zuge der Errichtung des Besucherzentrums wurden auch die Gestaltung der Kriegsgräberstätte selbst sowie die Durchführung der Volkstrauertags-Veranstaltung überdacht. Im Interesse einer zeitgemäßen Ausrichtung hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge gemeinsam mit der Deutschen Botschaft konstruktive Roundtable-Gespräche mit Vertretern der Jüdischen Gemeinschaft sowie weiteren Experten der niederländisch-deutschen Erinnerungskultur geführt. Daran beteiligt haben sich unter anderem Ronny Naftaniel, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in den Niederlanden (Centraal Joods Overleg), Binyomin Jacobs, Oberrabbiner der Provinz Limburg, Piet-Hein Donner, Präsident der Niederländischen Kriegsgräberstiftung (Oorlogsgravenstichting), Emile Schrijver, Direktor des Jüdischen Kulturquartiers Amsterdam und Frank van Vree, bis vor Kurzem Direktor der Niederländischen Organisation für Kriegsdokumentation (NIOD). 

Im Ergebnis bestand Konsens, dass zum zeitgemäßen Verständnis der Kriegsgräberstätte Ysselsteyn Veränderungen umgesetzt werden müssen, die mehr Informationen über den Ort und seine Geschichte zugänglich machen. Erste Schritte sind hier die Ausstellungsanteile zur Besatzungsgeschichte im neuen Besucherzentrum sowie das Aufstellen von neuen Informationstafeln im Außenbereich, die Auskunft über die unterschiedlichen Gruppen dort bestatteter Kriegstoten geben. 

In Vorbereitung des Volkstrauertags am 14. November 2021 wurden darüber hinaus weitere Schritte zur Umsetzung gebracht: Auf dem zentralen Platz der Kriegsgräberstätte wurde ein Stein mit der Inschrift „Hier ruhen 32.000 deutsche Soldaten“ entfernt, da diese Inschrift inkorrekt ist und in Bezug auf die Kriegstoten nicht angemessen differenziert. Auch wurde ein geänderter Ablauf für die Gedenkveranstaltung vereinbart, bei dem auf das Niederlegen von Blumenkränzen verzichtet wurde, um dem Eindruck eines undifferenzierten ehrenden Gedenkens an diesem Ort entgegenzuwirken. 

Die nächsten Schritte: neue Gedenkinschrift und Eröffnung des neuen Besucherzentrums

Planungen für das Jahr 2022 sehen vor, einen Gedenkstein mit einer Inschrift, die explizit an die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in den Niederlanden erinnert, auf der Kriegsgräberstätte Ysselsteyn zu errichten. Geplant ist im weiteren die Durchführung eines wissenschaftlichen Symposiums zu Ysselsteyn als ein Ort der sich wandelnden Erinnerungskulturen im internationalen Diskurs und die Eröffnung des neuen Besucherzentrums samt Ausstellung.