Meldungen aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen
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Gedenken in der Normandie 2020 im Jahr der Corona-Pandemie

Ein Erfahrungsbericht von Marcus Pansegrau

La Cambe. Alles ist so still und leer, wo sonst Menschen aus aller Welt in jedem Jahr zusammen kommen, um allen Toten des Krieges, aber besonders der so genannten „Operation Overlord“, dem D-Day zu gedenken. Im Sommer 1944, in der Normandie wütete der Krieg, die größte alliierte Landungsoffensive der Neuzeit fand dort statt. Sie leitete den Untergang von Hitlers Nazideutschland ein und die Befreiung Frankreichs nach 4 Jahren Besatzung. An vier Strandabschnitten, Utah, Omaha, Gold, Juno und Sword kämpften vor allem Amerikaner, Briten, Kanadier, Franzosen, Polen u.a. gegen die Wehrmacht und die Waffen-SS, befreiten nach erbitterten Schlachten Paris am 25. August und damit ganz Frankreich. Seit dem 60. Jahrestag, sind die Feierlichkeiten immer größer geworden und seit 2004 sogar mit deutscher Beteiligung, genauer gesagt mit lippischer Beteiligung. Bundeskanzler Schröder, geboren in Blomberg/Mossenberg, wurde vom franz. Präsidenten Chirac eingeladen und revanchierte sich mit einer Einladung in seine lippische Geburtsstadt, das war 2005.

Aber dieses Jahr war alles anders in der Normandie, keine Massen von Menschen aus aller Welt, keine öffentlichen Gedenkfeiern, keine Fallschirmspringer springen aus Militärmaschinen, auch nicht unsere Fallschirmjäger der Luftlandebrigade 1 der Bundeswehr aus Saarlouis, die sonst seit vielen Jahren hier immer mit dabei sind. Meine Frau, unser Hund und ich sind im Urlaub aber gleichzeitig, wie jedes Jahr unterwegs im Namen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V., Kreisverband Lippe. Es ist eine besondere Ehre, einen Kranz für alle Toten des Krieges niederzulegen (siehe Foto) - gerade auf so einer deutschen Kriegsgräberstätte wie La Cambe in Frankreich, wo vor der Corona-Pandemie die Abgesandten der alliierten Streitkräfte, die franz. Gemeinden und eben auch der deutsche Botschafter der Kriegstoten gedenken. Es ist eine partnerschaftliche, friedvolle Gedenkfeier, die leider kaum jemand in unserem Lande kennt [...]. Wie sagt der Leitspruch vom Volksbund so schön: „Frieden über den Gräbern“, nirgendwo sonst fällt mir das so leicht, daran zu glauben, wie auf den Soldatenfriedhöfen in der Normandie, egal welcher Nationalität. 

Dieses Jahr stand ich zwar fast alleine auf dem Friedhof, lange nach dem D-Day, trotzdem war es eine interessante Erfahrung, den Kranz niederzulegen und inne zu halten, ganz ohne die vielen Menschen und ohne Musik vom Militärmusikkorps, nur die Vögel sangen ihr Lied und die Blätter der Eichenbäume raschelten im sanften Wind, der von der Kanalküste wehte. Aber es sollte nicht die letzte emotionale Erfahrung bleiben!

Wir erhielten ein paar Tage später von einer Freundin, die dort lebt, einen Hinweis. Sie hatte von einer Geschichte über Peggy und Billie Harris aus dem texanischen Vernon gehört und mein Interesse war geweckt. Diese eine Geschichte ist ein Spiegelbild für viele Schicksale, ob aus deutscher Sicht oder eben aus alliierter Sicht. Sie alle eint das Grauen des Krieges, es sollte für uns eine Mahnung sein.

September 1944, die 22-jährige Peggy heiratet Billie, einen 22-jährigen Piloten, sie müssen füreinander wie geschaffen sein. Billie wird nur 6 Wochen später zur US-Airforce beordert und soll Lufteinsätze in Europa fliegen, keiner weiß zu dem Zeitpunkt, dass es sich u.a. um die Invasion in der Normandie handeln wird [...].

Im Juli erlischt der Kontakt zu Billie und das Schicksal wollte, dass Peggy nie mehr ein Lebenszeichen von ihrem Mann hören sollte. Aus Tagen wurden schließlich Jahre, da keine Meldestelle etwas zu dem Verbleib von Billie D. Harris sagen konnte bzw. sagen durfte, vermutlich waren die Akten unter Verschluss. Peggy kann ihren Mann nicht vergessen, versucht bis 2005 etwas über ihn in Erfahrung zu bringen und bleibt ihr Leben lang allein. Ihre Liebe war wohl zu tief, obwohl sie mit Sicherheit wusste, dass er nie mehr zurückkommen würde. 

Ein Familienmitglied versuchte beharrlich nach über 60 Jahren das Rätsel zu lösen und bekam Akteneinsicht. Tatsächlich starb Billie in einem Kampfeinsatz über der Normandie, aber die Umstände seines Todes gingen weit über die Pflichterfüllung hinaus.

Sein Kampfflugzeug wurde im Juni 1944 über der Normandie abgeschossen und ist in der Nähe des französischen Ortes Les Ventes abgestürzt. In den letzten Sekunden vor dem Absturz verhinderte er, dass sein Flugzeug direkt in die Ortschaft stürzen konnte, es zerschellte stattdessen im nahe liegenden Wald. Nach zwei Tagen konnte er geborgen werden und bekam ein würdiges Begräbnis, Billie war für die Bewohner ein Held, eine Straße wurde nach ihm benannt und jedes Jahr fand eine Gedenkfeier für ihn statt.

Sein Grab in Les Ventes ist bis heute erhalten geblieben und seine Witwe Peggy kam, so lange es ihre Gesundheit erlaubte einmal jährlich nach Les Ventes zurück, obwohl nach dem Krieg seine Gebeine auf dem amerikanischen Soldatenfriedhof verlegt wurden. Danach schickte sie regelmäßig Blumen an seine endgültige Grabstätte in der Normandie.

Wir besuchten das Grab von 1st Lieutenant Billie D. Harris in Colleville-sur-Mere auf dem amerikanischen Friedhof, zu Corona Zeiten waren wir fast die einzigen Besucher. Obwohl alles abgesperrt war, durfte ich als Volksbund-Vertreter eine Rose niederlegen (siehe Foto) - es war unheimlich bewegend und ich habe mich dafür mehrfach bei den Sicherheitskräften bedankt.
Leider mussten wir kurz danach erfahren, dass Billie's Frau Peggy am 14. April 2020 verstorben ist, sie wurde 95 Jahre alt. Vielleicht können nun beide gemeinsam in Frieden ruhen, wir wünschen es den beiden von ganzem Herzen.
Mit diesen Gedanken im Kopf und im Herzen endete unsere diesjährige Fahrt in die Normandie. Wir werden wiederkommen, ganz bestimmt.

Fotos und Text: Marcus Pansegrau