Im Anschluss an die Stolpersteinverlegung sprach Pressesprecherin Diane Tempel-Bornett mit Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin über Mut, Kampf um Gerechtigkeit – und Gertrud Hanna.
Sie haben gesagt, Gertrud Hanna ist ein Vorbild. Eine Aufsteigerin aus einem – wir würden heute sagen – bildungsfernen Haushalt, dabei mutig, charakterstark und hilfsbereit. Was beeindruckt Sie besonders an ihr und ihrer Schwester?
Gertrud Hanna hat sich mit dem, was die reaktionäre Gesellschaft des Kaiserreichs für Mädchen aus Arbeiterfamilien vorgesehen hatte, nämlich ein elendes Leben in Armut, ohne Bildung und Chancen, nicht zufrieden gegeben. Sie hat gelernt, gearbeitet, sich engagiert und gemüht – und sie hat im Beruf und in der Politik viel erreicht, damit andere Mädchen und auch die Frauen aus Arbeiterfamilien es leichter haben. Das finde ich toll. Ihre Schwester Antonie hat immer zu ihr gehalten – auch in der schrecklichen Zeit der Verfolgung und Demütigung durch die Nazis. Großartig.
Was können wir von ihr lernen?
Wir können von beiden lernen. Von Gertrud, dass es lohnt, sich zu engagieren, auch für andere. Von Antonie, dass es gut ist, wenn Schwestern zusammen halten.
Wissen Sie, welche wichtigen Menschen es in Gertruds Leben gegeben hat und wer sie waren?
Mir fällt eine ganz besonders wichtige Frau ein, mit der sie zusammengearbeitet hat: Marie Juchacz, mit der sie sich in der Arbeit für Frauen und in der Arbeiterwohlfahrt engagierte. Aber auch in ihrer Gewerkschaft war Gertrud sehr beliebt.
Wie war ihr Ansehen in der SPD?
Ihr Ansehen war sehr hoch – eine Frau hatte es ja auch in der Zeit der Weimarer Republik nicht leicht, als Abgeordnete aufgestellt zu werden. Gertrud war ein wichtiges Mitglied des Preußischen Landtags – sehr eindrucksvoll.
War sie eher eine Kämpferin, die die Konfrontation suchte oder ging sie eher kleine Schritte?
Ich würde sagen, beides. Für ein Mädchen aus einer sozialdemokratischen Arbeiterfamilie war es unglaublich mutig, zu lernen, der SPD und der Gewerkschaft beizutreten, sich im Ersten Weltkrieg für Frauen und Arme zu engagieren und dann auch im Landtag immer für Reformen einzutreten. Das erfordert großen Mut.
Mir ist nur von Marie Juchacz bekannt, dass sie wohl versuchte, Gertrud Hanna zu unterstützen. Stimmt das?
Ganz sicher nicht. Man wird Vorstandsmitglied einer Gewerkschaft, Chefredakteurin oder Abgeordnete nicht ohne die Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen.
Frauenpolitik galt ja auch bei führenden Sozialdemokraten als „Gedöns“. Ich weiß nicht, ob das inzwischen nur eleganter formuliert wird – aber haben Sie eine Erklärung, warum dem so ist? Wieso ausgerechnet Vertreter einer Partei, die sich Gerechtigkeit auf die Fahnen geschrieben hat, Grundlegendes für uninteressant erachten?
Ich weiß nicht so recht, woher Sie diese Einschätzung nehmen: Die Erfolge der Frauen in den letzten 50 Jahren mussten alle von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten erkämpft werden, später unterstützt von den Grünen. Nur wenige Beispiele dafür: Hilfe für vergewaltigte Frauen, Frauenhäuser, Gleichstellungsstellen, Abschaffung des Verschuldensstrafrechts in den 1970er Jahren, Abschaffung von Gewalt als Erziehungsmitteln, die ganzen Bildungsreformen, die Quote, die Anti-Diskriminierungsgesetzgebung hätte es ohne Sozialdemokratische Politik nicht gegeben. Gerhard Schröders blöder Spruch zeigt, dass er offensichtlich sehr auf die vielen konservativen Männer geschaut hat, die es auch heute noch gibt.
Sie kennen den Bundestag seit fast 40 Jahren. Wie hat sich die Stimmung mit Blick auf frauenpolitische Belange entwickelt?
Wir Sozialdemokratinnen – später dann häufig unterstützt von den Grünen – mussten die frauenpolitischen Verbesserungen hart erkämpfen – meist gegen die Konservativen. Von selbst entwickelt hat sich nichts. Heute sind gerade junge Mädchen und Frauen viel besser dran. Sie können lernen, bekommen Stipendien, können den Beruf ergreifen, den sie wollen. Es bleibt aber noch viel zu tun, gerade beispielsweise in der Familienpolitik bei Hilfen für Eltern, bei der Lohngleichheit für Frauen. Deshalb sind jetzt die Generationen meiner Tochter und meiner Enkelin dran. Sie machen weiter, heute mit mehr Unterstützung der Zivilgesellschaft – auch, wie ich hoffe, des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge.