Projekte aus dem Landesverband Nordrhein-Westfalen
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Ochtrup, Gedenkstätte an der Hellstiege

Der Ursprung
Die Planungen für die Gedenkstätte begannen auf Initiative des Heimat– und Verkehrsvereins der Stadt Ochtrup unter dem Vorsitzenden Dr. Helmuth Plemper im Jahre 1952. Die Grundidee der Planer des neu anzulegenden Geländes war es, an einem zentralen Ort allen Gefallenen der Gemeinde zu gedenken. Gleichzeitig sollte für die Angehörigen ein Ort des Erinnerns geschaffen und den folgenden Generationen die Schrecken des Kriegs vor Augen geführt werden. Grundlegender planerischer Gedanke war es, den sich an dieser Stelle befindlichen alten und nicht mehr belegten Friedhof der kath. Kirchengemeinde Sankt Lamberti in eine würdige Grünanlage umzugestalten und ihn somit der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Vom Wettbewerb zur Umsetzung
Im Jahre 1956 schrieb die Stadt Ochtrup schließlich einen Gestaltungswettbewerb aus, der auf reges Interesse stieß. Ergänzend zu den oben angeführten Grundideen der Gedenkstätte wurde in den Wettbewerbsunterlagen angeführt, dass eine Umbettung von etwa dreißig in Ochtrup beigesetzten Soldaten des Zweiten Weltkriegs Berücksichtigung finden müsse. Das damalige Preisgericht entschied sich schließlich für den gemeinsamen Entwurf des Diplom-Ingenieurs Bernd Kösters (Münster) und des Bildhauers Waldemar Kuhn (Emmerich). Nach nicht unerheblichen finanziellen Schwierigkeiten bei der geplanten Umsetzung konnte die Gedenkstätte schließlich unter großer Beteiligung der Ochtruper Bevölkerung am 19.11.1961, dem bundesweiten Volkstrauertag, eingeweiht werden.

Die Gestaltung
Der Entwurf der Wettbewerbsgewinner Kösters/Kuhn bestimmt auch heute noch maßgeblich das Erscheinungsbild der Gedenkstätte:
Die großräumig um den Friedhof angelegte Mauer dient dem praktischen Zweck, den Friedhof gegen die umliegenden Häuser abzuschirmen. Bewusst wurde auf eine Abgrenzung gegenüber der Hellstiege und des Kindergartens verzichtet, um den Passanten ein Wahrnehmen der Gedenkstätte ermöglichen zu können. Die begrenzende Bepflanzung soll dabei eine Art Schleier darstellen, der dem Betrachter einen Überblick erlaubte. Für das vollständige Erleben muss er die Gedenkstätte jedoch betreten. Die an der Mauer angebrachten fast 800 Tonkreuze stehen stellvertretend für die gefallenen Ochtruper Soldaten des Ersten Weltkriegs (1914-1918) und des Zweiten Weltkriegs (1939-1945). Im zentralen Feld der Anlage wurde der alte Baumbestand gelichtet, um dem Ort eine Art Räumlichkeit zu geben. Gleichzeitig wurde der Platz somit als Mittelpunkt klar herausgearbeitet. Am Rande dieses Platzes waren einige Bänke geplant, die dem Besucher die Möglichkeit des stillen Verweilens geben sollten. Die rechte Seite der Anlage wird klar durch das Gräberfeld dominiert. Hier finden die vom Friedhof an der Alten Maate umgebetteten Toten des Zweiten Weltkriegs ihre letzte Ruhestätte.

Die Tonkreuze an der Mauerumfriedung
Ziel der Tonkreuze, die in Ochtruper Töpfereien hergestellt worden waren, war es, jedem gefallenen Ochtruper Soldaten einen Ort zu geben, an dem an ihn erinnert werden kann. So finden sich der jeweilige Name und die dazugehörigen Lebensdaten auf den Kreuzen. Dadurch sollten die Angehörigen die Möglichkeit erhalten, unterhalb der Kreuze in Gedenken an ihre Verwandten oder Freunde Blumen zu pflanzen.
Zwischen 1914 und 1918 wurden insgesamt 250 Sterbefälle von Ochtruper Soldaten dokumentiert. Ein Großteil von ihnen starb in den Jahren 1915/1916 an Kriegsschauplätzen wie der Marne oder Verdun bei Gefechten mit französischen Soldaten. Andere erlagen ihren schweren Verletzungen in rückwärtigen Lazaretten.
Im Vergleich hinterließen die Auswirkungen und Ausmaße des Zweiten Weltkriegs weit mehr Tote als noch der Erste Weltkrieg. So hatte die Stadt Ochtrup in dieser Zeit 544 Tote zu beklagen, von denen die Mehrzahl im Rahmen des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die damalige UdSSR in den Jahren 1942/1943 an der Ostfront starb.

Das Hauptdenkmal: Die Zwei Engel
Die im Mittelpunkt der Anlage auffindbare Plastik besteht aus zwei übereinander schwebenden Engeln aus Muschelkalk. Diese sollen zum einen die imaginäre Anwesenheit der verstorben Seelen im Raum der Gedenkstätte sichtbar und greifbar machen und zum anderen den Lebenden als Mahnung dienen. Die horizontale Ausrichtung soll dabei einen Gegenpol zu den zahlreichen Baumvertikalen bilden. Die geschichteten Engel symbolisieren mit den ergänzenden Attributen des Kelchs und des Ölzweigs einerseits die zu gedenkenden Opfer und anderseits verkörpern sie das ewige Leben.

Das Gräberfeld
Die Gräber der gefallenen Soldaten
Im Rahmen des Westfeldzugs (1940) gegen die benachbarten Niederlande wurde auch die Stadt Ochtrup zum Aufmarschgebiet erklärt. Die hier einquartierten Truppenverbände der SS führten ihre Toten zu ihrem Standort in Ochtrup zurück und beerdigten sieben von ihnen auf dem Friedhof an der Alten Maate. Von hier aus wurden die Leichen 1961 zur Hellstiege umgebettet.
In den letzten Tagen des NS-Regimes kam es auch in Ochtrup im April 1945 zu Kämpfen zwischen zurückflutenden Wehrmachtsverbänden und nachdrängenden britischen Verbänden. Die hierbei verstorbenen deutschen Soldaten wurden zunächst in einem Massengrab auf dem Friedhof an der Alten Maate beigesetzt. Im Jahre 1961 wurden diese 33 Verstorbenen auf die Gedenkstätte verlegt. Die sechs Toten der britischen Truppen sollen ihre letzte Ruhestätte auf dem Ostwall, bzw. in der Bauernschaft Weiner, gefunden haben. Eine aus dem Konzentrationslager Bergen-Belsen befreite Jüdin namens Alga Wilkom war von den Briten mit nach Ochtrup gebracht worden und verstarb hier am 07.07.1945. Sie und weitere jüdische Opfer des NS-Regimes finden eine besondere Ehrung am jüdischen Friedhof in Ochtrup. Dieser befindet sich in unmittelbarer Nähe stadtauswärts an der Hellstiege.
 
Die Gräber der russischen Kriegsgefangenen
Ebenso, wie dieser Ort ein Ort des Gedenkens und der Mahnung für die Soldaten der Kriege ist, gedenkt er auch weiteren Bevölkerungsgruppen: So eben auch den Kriegsgefangenen, die während der beiden Weltkriege nach Deutschland und somit auch nach Ochtrup verschleppt wurden. Daher befinden sich hier zwei Gräber russischer Kriegsgefangener. Weitere Leichname russischer Kriegsgefangener sind auf dem Friedhof in der Bauernschaft Oster beerdigt worden.

Zwangsarbeit in Ochtrup
Vor allem im Zweiten Weltkrieg wurden viele Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter zur Arbeit auch in und um Ochtrup genötigt. Insgesamt sind 180 Namen nachzuweisen, unter denen viele französische Staatsbürger/innen, aber noch wesentlich mehr Menschen aus Osteuropa und der UdSSR, zu finden sind. Die Hauptgruppe bildeten allerdings 1500 Niederländer. All diese Menschen mussten auf umliegenden Bauerhöfen arbeiten, bei Schanzarbeiten mitwirken oder in den Industriebetrieben der Stadt tätig sein. Die dortigen Lebensumstände waren nach momentaner Quellenlage vergleichsweise gut, verschlechterten sich aber auf Grund der allgemeinen Versorgungslage mit zunehmender Kriegsdauer stetig. 
Ab 1944 wurden auch der Firma Gebr. Laurenz so genannte Ostarbeiterinnen zugewiesen, deren neugeborene Kinder zunächst im Marienheim von Nonnen betreut und versorgt worden waren. Später wurde eine gelernte Säuglingsschwester namens Margund Fehrmann gebeten, die Versorgung der Kinder zu übernehmen. Trotz der widrigen Umstände gelang es ihr, die zunehmende Anzahl von Kindern im ehemaligen großen Werkstattraum der Firma mit den wichtigsten Nahrungsmitteln zu versorgen, zu waschen und zu betreuen, ehe sich ihre Mütter nach verrichteter Arbeit wieder um sie kümmern konnten. Dennoch konnte sie es nicht verhindern, dass fünf von ihnen im Alter von nur wenigen Monaten zwischen Oktober 1944 und April 1945 an Unterernährung und mangelnder Hygiene in Ochtrup verstarben. Sie wurden auf dem Friedhof an der Alten Maate beigesetzt. Allerdings waren die Gräber der Kinder schon 1958 unter ungeklärten Umständen nicht mehr aufzufinden. An sie sei hier daher gesondert erinnert. Ihre Namen lauten:
Maria Chrobot (06.1944-18.10.1944), Nicolaus Jarmak (06.01.1944-27.04.1944), Stanislaus Kuza (24.07.1944-06.04.1945), Senik Maisa (15.05.1944-08.02.1945) und Genik Wutschnik (06.1944-05.10.1944)
 
Die zivilen Opfer
Auch Ochtrup wurde immer wieder Ziel von alliierten Luftangriffen. Dabei verstarben insgesamt 37 Bewohnerinnen und Bewohner aus den Gemeinden Ochtrup und Welbergen. Drei wurden ebenfalls auf diese Grabstätte umgebettet.
All diese Kriegsopfer mahnen und rufen zur Völkerverständigung und Versöhnung über den Gräbern auf.

Anmerkung
Auf der Gedenkstätte finden sich verstreut weitere alte Gräber aus der Zeit des katholischen Friedhofs, deren Grabsteine stehen geblieben sind. Nachträglich von der Stadt Ochtrup hinzugefügt wurde ein Stein mit einer Marmorplatte, der die Gefallenen der Kriege 1866 und 1870/71 nennt. Es handelt sich hierbei um den Rest des ersten Gefallenendenkmals in Ochtrup, die „Germania“ aus dem Jahre 1887, das 1948 abgebrochen wurde. Im Jahre 2009 fand das Grabmal des Textilfabrikanten Hermann Laurenz und seiner Frau Klara, das bis dahin auf dem Friedhof an der Alten Maate stand, an der Hellstiege einen neuen Standort.

Der Text ist das Ergebnis einer Projektarbeit des Leistungskurses Geschichte der Jahrgangsstufe 12 des Städt. Gymnasiums, der sich im Jahre 2014/2015 aktiv mit der Gedenkstätte an der Hellstiege auseinandergesetzt hat. Die Informationsstele wurde am 8. Mai 2015 in einer würdigen Gedenkfeier aus Anlass der 70. Wiederkehr des Kriegsendes der Öffentlichkeit übergeben.