Essen/Kamminke. Der Zweite Weltkrieg war der Grund, dass beispiellos viele Menschen ihre Heimat verlassen mussten. Die meisten wurden gezwungenermaßen in Bewegung gesetzt und aus ihrer Heimat vertrieben. Die Auswirkungen sind zum Teil bis heute sichtbar.
Insgesamt zehn Lehrkräfte aus NRW haben sich vom 29. September bis zum Tag der deutschen Einheit auf Spurensuche begeben und genau hingeschaut: Unter dem Titel „Zwischen Todesmärschen, Flucht und Umsiedlung – Kriegsende 1945 in Norddeutschland und an der Ostsee“ haben sie verschiedene Gedenkstätten und Erinnerungsorte besucht. Eingeladen zu dieser Studienreise in die Jugendbegegnungsstätte auf dem Golm hatte der Landesverband Nordrhein-Westfalen, gefördert wurde die Fahrt von der Stiftung Gedenken und Frieden.
Als erstes besuchte die Gruppe die KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Der Lagerkomplex war bis 1945 das zentrale Konzentrationslager im Nordwesten Deutschlands, in das Häftlinge aus ganz Europa deportiert wurden. Zehntausende Menschen waren in dem Lager und mussten Schwerstarbeit in Bau- und Rüstungsfirmen leisten, fast die Hälfte von ihnen starb an den unmenschlichen Arbeits- und Lebensbedingungen oder wurde ermordet. Als die alliierten Truppen am Ende des Krieges immer weiter in das Reichsgebiet vordrangen, wurde das KZ Neuengamme ab April 1945 geräumt: Tausende Häftlinge wurden auf sogenannte Todesmärsche getrieben, auf denen viele Menschen noch vor der Befreiung starben. Auf dem Gelände des Konzentrationslagers wurden nach dem Krieg zwei Gefängnisse errichtet. Erst mit der Schließung dieser Haftanstalten und unter dem Druck von Überlebendenverbänden und vonseiten der Gesellschaft konnte das Gelände zu einem Erinnerungs- und Gedenkort werden. Die heutige Gedenkstätte wurde im Jahr 2005 eröffnet. Die Lehrkräfte aus NRW verschafften sich bei einer Führung einen Überblick über das große Gelände und die umfangreichen Ausstellungsthemen.
Bei der anschließenden Weiterreise nach Usedom hatte die Gruppe Zeit zu diskutieren, wie ein Besuch dieser Gedenkstätte im Rahmen einer Klassenfahrt eingebunden werden könnte. Da die KZ-Gedenkstätte auf dem Weg aus NRW an die Ostsee liegt, ist ein Halt hier sinnvoll. Auch weil in der Ausstellung der Gedenkstätte eine der größten Schiffskatastrophen der Geschichte thematisiert wird: Im Rahmen der Räumung des Lagers wurden Häftlinge aus Neuengamme unter anderem auf die „Cap Arcona“ und die „Thielbek“ getrieben, zwei Schiffe, die bei einem Angriff britischer Bomber am 3. Mai 1945 in der Lübecker Bucht versanken: Mehr als 6.500 Menschen ertranken, verbrannten oder wurden bei Rettungsversuchen von der SS erschossen, nur wenige Hundert überlebten.
Ein ähnliches Schicksal ereilte tausende Zivilisten und Soldaten im heutigen Świnoujście (Swinemünde). Bei Kriegsende war die Stadt überfüllt mit geflüchteten Menschen, als am 12. März 1945 amerikanische Flugzeuge den Marinehafen bombardierten. Viele Tausend Zivilisten und Soldaten starben bei diesem Angriff. Heute gehört die ehemals deutsche Stadt zu Polen; nach dem Krieg fand hier ein Bevölkerungsaustausch statt. Doch noch heute ist die Geschichte in der polnischen Stadt mit deutschen Wurzeln sichtbar – ebenso wie der Umgang mit der Geschichte. Sie ist damit der ideale Ort für eine Auseinandersetzung mit den Beziehungen beider Länder – historisch, politisch und kulturell. Deshalb besuchten die Lehrkräfte zunächst den Hauptfriedhof, auf dem es unterschiedliche Erinnerungsorte und Kriegsgräberstätten gibt. Anschließend testete die Gruppe eine Rallye für Schulklassen und Jugendgruppen. Diese Rallye führt durch das Stadtzentrum, gibt Informationen zur Geschichte der Stadt, lässt Zeitzeugen zu Wort kommen und regt zum Nachdenken an.
Anschließend reiste die Gruppe weiter nach Heringsdorf. Während eines Spazierganges nach Ahlbeck erfuhren die Teilnehmenden viel über die Villen an der Promenade. Die wechselhafte Geschichte dieser luxuriösen Bauten zeigt die Geschichte dieser Region: Hier verbrachten wohlhabende Personen ihre Sommer und in den meisten Fällen befinden sich bis heute kostspielige Ferienwohnungen in den prunkvollen Gebäuden. Doch zur Zeit des Nationalsozialismus, während des Zweiten Weltkrieges, während der Besatzung oder in DDR-Zeiten wechselten viele Häuser den Besitzer. Die ursprünglichen Besitzer wurden oft enteignet. Auch wenn die meisten Gebäude den Krieg unbeschadet überstanden haben, sieht man hier die Folgen des Krieges bzw. der nationalsozialistischen und sozialistischen Ideologie.
Zum Abschluss wurden die vielen Eindrücke und Themen der Fahrt noch einmal zusammenfassend besprochen. In der Jugendbegegnungs- und Bildungsstätte (JBS) Golm des Volksbundes stellte der pädagogische Mitarbeiter Mariusz Siemiatkowski die Bildungsangebote des Hauses vor. Die JBS Golm und die angrenzende gleichnamige Kriegsgräberstätte liegen direkt an der deutsch-polnischen Grenze. Im Rahmen von Workshops und Führungen können (Jugend-)Gruppen dort viel über die gemeinsame Geschichte lernen. Auf der Kriegsgräberstätte werden ihnen beispielsweise in einer Ausstellung Biografien vorgestellt, und sie können ein Erkundungsspiel unternehmen. In einem Minisprachkurs lernen die Gäste erste polnische Wörter, die sie zum Beispiel bei der anschließenden Rallye durch Świnoujście anwenden können. In einem Workshop zum Thema Flucht werden verschiedene Fluchtbewegungen und Fluchtgründe während des Zweiten Weltkrieges deutlich. In einem Workshop zu Kindheit im Krieg erarbeiten die Teilnehmenden wiederum eine kleine Ausstellung über verschiedene Jugendgruppen aus Deutschland und Polen und Ihre jeweiligen Aktivitäten während des Krieges.
Am Ende der Studienfahrt zogen die Teilnehmenden aus NRW ein überwiegend positives Fazit. Die Lehrkräfte sahen vor allem die vielen Bezüge zu aktuellen Geschehnissen, die auf dem Golm gut besprochen werden können. Sie überlegten auch, Fahrten in die JBS Golm zu planen, um sich mit polnischen Partnerschulen zu treffen und gemeinsam dort zu arbeiten. Einzig die weite Anreise nach Usedom sahen viele als Hürde an. Trotzdem nahmen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer viele Ideen und Anregungen für den eigenen Unterricht mit nach Hause. Einige Lehrer wollen gerne an der nächsten Studienfahrt des Landesverbandes teilnehmen, um weitere Jugendbegegnungsstätten des Volksbundes kennenzulernen. Gerade die JBS in den Niederlanden und in Belgien sind für Schulen aus NRW unter anderem wegen der kurzen Anfahrtszeit attraktive Ziele.